Einheimische als Influencer: Wie wir unsere Bürger*innen zu Gäste-Experten machen

Judith Kenk - Sichtbarkeitsexpertin aus MV

Bürger als Influencer Marketing Judith Kenk

Einheimische als Influencer: Wie wir unsere Bürger*innen zu Gäste-Experten machen

Der Tourismus ist der Motor der Region. Von Ostern bis Oktober und über die Feiertage beherbergen wir Millionen von Tourist*innen. Und Mecklenburg-Vorpommern tut eine Menge, um diesen Status zu erhalten: Familiensiegel, Digitalisierung, integrativer Urlaub, neue Sehenswürdigkeiten, wie z.B. der Skywalk am Königsstuhl. Und es wird eine Menge Werbung geschaltet: „ganzjährig, crossmedial, reichweitenstark, zielgruppengenau.

Wie wäre es mit authentisch?

Seit Jahrzehnten haben Bürger*innen den Eindruck, benachteiligt und ausgeschlossen zu werden. Diesen Eindruck kann die Autorin mit einem Beispiel belegen:

Auf meine Nachfrage bei einem Hotel am Fleesensee, ob ein Angebot offen ist für jeden, erhielt ich die Auskunft, dass es nur für Hotelgäste zugänglich ist. Eine klare Zurückstellung. Nicht immer sind die touristischen Angebote ausgebucht. Und auch Einheimische möchten in ihrer Heimat großartige Dinge erleben. Symptomatisch also für das Ranking von Einheimischen und Gästen und die zunehmende Ablehnung des starken Tourismus bei den Bürger*innen vor Ort?

Die Tourismusakzeptanz sinkt. Der Tourismusverband MV veröffentlichte im Sommer 2023 auf seiner Website Ergebnisse einer Studie, die dies belegen. Die Befragung reichte von den Einflüssen des Tourismus auf Verkehr, Natur bis hin zur Konzentration von Gästen an einem Ort.

Die Einwohnerinnen und Einwohner leben zwölf Monate im Jahr hier. Viele von ihnen arbeiten im Tourismus, kümmern sich um Zimmer, Essen und und und. Wie wäre es, wenn wir keine Unterscheidung mehr zwischen Einwohner*innen und Gästen machen? Wie wäre es, wenn wir mit unseren touristischen Angeboten auch die Einwohnerinnen und Einwohner ansprechen? Wie wäre es, wenn die Mobilität in unserer Region für Einwohnerinnen und Einwohner besser funktioniert? Dann funktioniert sie auch besser für Gäste und Zuzügler! Das ist die Chance auf authentische Werbung durch unsere Einwohner*innen. Moment, authentische Werbung – durch unsere Bürger*innen?

Ganzjährig, crossmedial, reichweitenstark, zielgruppenoffen und authentisch

Kürzlich habe ich an einem Workshop des Tourismusverbandes Mecklenburgische Seenplatte teilgenommen. Der Workshopleiter hat einen Satz gesagt, der sich mir sehr eingeprägte: „Wir brauchen kein Marketing, wir brauchen ein gutes Produkt.“ Klingt logisch: Gute Angebote sprechen für sich und sie sprechen sich rum!

Wenn wir gute Angebote schaffen, die niemanden ausschließen, dann können wir unsere Bürger*innen zu glaubwürdigen Influencer*innen machen. Sie würden unsere Angebote das ganze Jahr über nutzen, Sehenswürdigkeiten empfehlen und erklären, in den sozialen Netzwerken posten und ihre Freunde und Familie begeistern. Dadurch könnten sie einen Teil unserer Marketingarbeit übernehmen und uns dabei helfen, mehr Menschen zu erreichen, für Urlaub und auch Zuzug.

Ideenpool

Um unserer Bürger*innen zu begeistern erlaube ich mir ein paar Gedanken zu sammeln, die oft in Gesprächen mit spannenden Menschen aus der Region entstanden sind.

Beim Thema Mobilität wünschen sich viele integrative und kreativere Konzepte. Aktuell werden die Mobilitätsangebote von Einheimischen kaum genutzt. Die Angebote sind nicht optimal und es wird und wurde jahrelang daran gespart.

Die Taktung ist nicht praktikabel (daran wird aktuell gearbeitet). Oder das Angebot steht nur denjenigen (vergünstigt) zur Verfügung, die eine Kurkarte erworben haben (spezielle Shuttle). Das Bähnle oder „Müritz Rundum“ sind gute Konzepte, aber sie sind nicht barrierefrei. Die Ausflugsdampfer sind viel zu teuer, um als Einheimischer damit zu fahren. Warum werden die vorhandenen Angebote wie das Bähnle oder die Schiffe nicht ausgeweitet und auch für Pendler*innen gedacht? Natürlich bedarf es hier einem guten Preiskonzept. Besonders im Sommer könnten so viele Autofahrer*innen von der Straße weg und über das Wasser transportiert werden (in Kombination mit dem Rad).
Der Rufbus Elli wird aktuell für ältere Menschen gedacht. Auch Jugendliche im ländlichen Raum sind in der Regel mobilitätseingeschränkt. Henne-Ei-Prinzip: Es würden mehr Freizeit-Angebote genutzt werden, wenn die Kinder unabhängig vom „Elterntaxi“ schlicht und ergreifend dort hinkommen würden. Dabei können wir außerdem den Zugang zu außerschulischen Bildungs- und Freizeitangeboten verbessern und somit auch die Barrierefreiheit.

Museen dienen oft als „Schlecht-Wetter-Alternative“ für unsere Gäste. Lassen Sie uns Einheimische auch als Zielgruppe betrachten. Oftmals haben sie diese schon lange nicht mehr besucht. Wenn wir wollen, dass unsere Bürgerinnen und Bürger zu Influencern werden, müssen wir sicherstellen, dass sie auf dem neuesten Stand sind, wenn es um unsere Points of Interests geht. So können sie unseren Gästen besser Empfehlungen aussprechen und perfekt beraten. Es ist hinreichend bekannt, dass die Menschen mehr Vertrauen in Empfehlungen von Freunden und Bekannten legen als in Werbung.

Ein weiteres Problem der ländlichen Region sind die wenigen „Hot Spots“, also Orte, an denen sich das touristische Aufkommen konzentriert. In der Meckl. Seenplatte sind das z.B. Waren (Müritz), Röbel und Malchow.
Verschiedene Plattformen führen Gäste an diese Hotspots und zu Sehenswürdigkeiten. Hier könnten alternative oder „Geheim-Tipps“ der Einwohner*innen gegensteuern und die Konzentration der Gäste zerstreuen.

Gäste wissen, dass sie 7 Tage die Woche, 12 Stunden am Tag von geschulten Mitarbeitenden in Touristinformationen oder Hotellobbies betreut werden, wenn sie Fragen haben. Aber wer wartet auf unsere Bürgerinnen und Bürger? Für sie gibt es nicht viele Anlaufstellen. Das Bürgerbüro im Rathaus ist nur von Montag bis Freitag von 9 bis 16 Uhr geöffnet, wenn man Glück hat. Ob diese Mitarbeitenden auch alle unsere Fragen so engagiert beantworten können? Für Gäste gibt es mit auf-nach-mv.de eine vom Land hervorragend aufgesetzte Plattform für Veranstaltungen und Sehenswürdigkeiten.[2] Haben sich unsere Bürgerinnen und Bürger jemals auf dieser Plattform umgesehen? Ist ihnen diese Plattform bekannt?

Gäste bekommen mit ihrer Kurkarte rabattierte oder sogar kostenfreie Angebote für Museen, Mobilität und vieles mehr. Warum haben unsere Bürger*innen nichts zum Vorzeigen, das ihnen besondere Angebote ermöglicht? An dieser Stelle eine Inspiration aus Malchow: Mit der Malchow-Card können Bürger*innen der Inselstadt und des Amtsbereiches bei beteiligten Geschäften Rabatt auf ihre Einkäufe bekommen. Die Karte kostet einmalig 5,- Euro.

Was heißt eigentlich „Bürger*innen zu Influencern“ machen?

Wenn es uns gelingt, die Einwohnerinnen und Einwohner unseres schönen Bundeslandes zu begeistern, werden sie einen Teil unseres Marketings übernehmen. Und zwar nicht ein Marketing, das wir mit viel Geld und Kampagnen aufbauen, sondern ein Marketing, das echt ist. Ein Marketing, das so authentisch ist und zu uns passt, wie die Wellen zum Meer. Und ein Marketing das auch dann läuft, wenn gerade keine Kampagne läuft.

Wenn wir beginnen, die Einstellung zum Tourismus neu zu denken und unsere Bürgerinnen und Bürger als Multiplikatoren zu betrachten, erschließen wir neue Möglichkeiten. Einheimische können als Sprachrohr und Botschafter*innen fungieren – im Land MV und darüber hinaus, bundesweit und international.

Es ist wie so oft: Das Henne-Ei-Prinzip. Was war zuerst da: Das gute Angebot für die Einheimischen oder die Einheimischen selbst, die vor Ort etwas erleben wollen? Ja, wir sind dünn besiedelt und oft reichen die Menschen in der Region nicht aus, POIs, Kunst und Kultur und die Gastro das ganze Jahr auszulasten. Wenn sie in der Saison ausgeschlossen werden, ist es nicht verwunderlich, wenn sie auch außerhalb der Saison nicht kommen.

Wir brauchen neue Angebots- und Preisformate für die Einheimischen. Wir müssen ihnen zeigen, dass sie uns mindestens genauso wichtig sind wie unsere Gäste. Wir brauchen auch für unsere Bürger*innen eine gute Ansprache, um sie aufmerksam zu machen auf ihre Umgebung und wie schön es hier ist. Wir haben die Chance unsere Tourismuskonzepte mit unseren Bürger*inenn gemeinsam zu entwickeln und zu kommunizieren. Nur so nehmen wir sie mit! Wir brauchen Mobilitätskonzepte, die nicht nur im Sommer und für Gäste gut sind.

„Bürger*innen zu Influencern machen“ bedeutet, dass man die Einwohnerinnen und Einwohner eines Ortes oder einer Region dazu ermutigt, ihre Erfahrungen und Empfehlungen mit anderen Menschen zu teilen und somit als Multiplikatoren für das Marketing der Region zu fungieren. Das Ziel ist es, dass die Einheimischen authentisch und glaubwürdig für ihre Heimat agieren. Gäste finden so vor Ort immer Ansprechpersonen. Trotz der zunehmenden Digitalisierung und dem Fachkräftemangel und infolgedessen weniger menschlich besetzten Rezeptionen und Co. wird der persönliche Kontakt gesucht.

Indem wir unsere Einwohnerinnen und Einwohner zu Botschafterinnen und Botschaftern machen, schaffen wir eine Verbindung zwischen den Menschen und dem Ort, die auf Echtheit und Authentizität basiert. Gleichzeitig stärken wir das Gemeinschaftsgefühl unter den Einwohnerinnen und Einwohnern. Wenn unsere Einwohner*innen ihre Erfahrungen und Empfehlungen teilen tragen sie zu einem positiven Image unserer Heimat bei. Kurz gesagt: Indem wir aufhören, zwischen Gästen und Bürgern zu unterscheiden, schaffen wir eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.“

Die Autorin arbeitet aktuell an Interviews zu diesem Thema.

In Teil #1 ging es um das Basiswissen zum Influencer-Marketing

In Teil #2 haben wir Influencer-Marketing und die Chancen für M-V betrachtet.


Literatur/Links

https://www.auf-nach-mv.de/ aufgerufen am 12.03.2024

weiterführende Literatur/Links

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